Europa übersetzen – Was heißt das?

Die Europäische Union hat 2014 zum ersten Mal in ihrer Geschichte einen parlamentarisch bestimmten Regierungschef bekommen. Die Bürger Europas hatten zum ersten Mal das Gefühl eine richtige Wahl zu haben zwischen Spitzenkandidaten der jeweiligen europäischen Fraktionen und Parteien. Knapp 180 Jahre nachdem die Briten dies erstmals den anderen Europäern vorgemacht haben, ist die EU zum parlamentarischen System übergegangen.

Gemeinsam haben die knapp 20 Staaten der Eurozone die größte Finanzkrise seit dem Zweiten Weltkrieg bewältigt. Mit der Süderweiterung der Gemeinschaft in den 1980er Jahren (Griechenland, Portugal, Spanien) und der Osterweiterung 2004/07 (Polen, Ungarn, Tschechien, Slowakei, Slowenien, Estland, Lettland, Litauen, Bulgarien, Rumänien) hat die Europäische Union einen sehr wichtigen Beitrag zu Stabilisierung junger Demokratien geleistet, die zuvor autoritär oder diktatorisch regiert wurden. Gerade im Vergleich zur Zwischenkriegszeit 1918-1939 kann diese Leistung nicht hoch genug eingeschätzt werden. Die Geschichte der Entwicklung der Europäischen Demokratie und Union kann als Erfolgsgeschichte erzählt werden.

Trotzdem scheint viele der über 500 Millionen Europäer die europäische Demokratie oder die gemeinsame Europäische Idee entweder nicht zu interessieren oder sie lehnen sogar die größte Friedensleistung der letzten Jahrhunderte schlichtweg ab oder steigern sich in einen regelrechten Hass auf eine eigentlich unbestritten positive Idee. Ein Fünftel der Abgeordneten im Europäischen Parlament sind deswegen schon Europagegner.

Dieses Paradoxon muss aufgelöst werden, wollen die Europäer im globalen Konzert der Mächte auch im 21. Jahrhundert weiterhin mitspielen. Europa müssen die Europäer auch als positiven Teil der eigenen Lebenswelt wahrnehmen. Empathie für Europa ist aber nur dann umfassend möglich, wenn die Entscheidungen der EU transparenter, die kulturellen und historischen Zusammenhänge aller europäischen Staaten bekannter gemacht werden – nur so können sich die häufig national strukturierten Zivilgesellschaften zu einer europäischen Öffentlichkeit zusammenfinden, die die Entwicklung Europas kritisch begleitet und vorantreibt.

Um Europa zukunftsfähig für das 21. Jahrhundert zu machen, bedarf es daher einer neuen „Übersetzung“ des Europäischen. Um Europa zu durchschauen und selbst tätig werden zu können bedarf es eines neuen Zugriffs auf das Thema Europa. Nur wenn die Bürgerinnen und Bürger im Sinne eines Empowerments dazu befähigt werden selbstbestimmt und mit eigenem Wissen ausgestattet in der europäischen Demokratie zu handeln, kann ein Europa für alle gelingen. Denn beispielsweise die historischen und kulturellen Gemeinsamkeiten Europas sind zwar unter Fachleuten bekannt, in die öffentliche Debatte oder gar in die Lehrpläne der Schulen haben sie kaum Eingang gefunden. Neben dem „Demokratie-Defizit“ gibt es ein europaweites „Kultur-Defizit“: Dieses Bewusstseins- und Wissensdefizit betrifft große Teile der europäischen Bevölkerung vom Arbeitslosen und Steuerzahler bis zu den nationalen politischen Eliten. Eine innereuropäische Solidarität kann aber nur dann funktionieren, wenn man sich neben den nationalen Unterschieden auch den europäischen Gemeinsamkeiten in Kultur und Geschichte bewusst ist. Eine auf sozialen Ausgleich ausgerichtete Demokratie, wie sie sich mit der Entstehung des europäischen Sozialstaattyps in den Nationalstaaten im 20. Jh. durchgesetzt hat, bedarf also einer kulturellen Grundlage, damit sie dauerhaft als legitim anerkannt wird. Derartige europäische Narrationen als Basis einer Demokratie können natürlich nicht einseitig vorgegeben werden, sondern bedürfen einer für die Demokratie typischen Pluralität der Debatte und Bildungsangebote. Dafür müssen die europäischen Elemente aber häufig erst in den nationalen Kontext „übersetzt“ werden. Vermutlich bedarf es dafür auch des „Übersetzens“ in neue Formate innerhalb der vertrauten Pfade der Kommunikation, damit sich auch neue, innovative Ideen entwickeln können.

Europa übersetzen – wie macht man das?

Eine nach wie vor kaum vorhandene europäische Öffentlichkeit kann nur dann umfassend entstehen, wenn die Menschen in Europa überhaupt über das Wissen verfügen, sich an den Debatten über die zukünftige Gestalt des Kontinents zu beteiligen. Da es in den Diskussionen zumeist nicht an nationalen Argumenten mangelt, sondern an dem europäischen Blickwinkel auf die Probleme, gilt es u.a. diese transnationale Perspektive stark zu machen. Es kann aber auch durchaus sein, dass ein transregionaler, ein translokaler oder auch ein globaler Zugriff auf die Frage nötig ist, um Lösungen für die bestehenden Probleme Europas aufzuzeigen. Gerade ein vergleichender Ansatz kann gängige Erklärungsmuster aufbrechen. Es sind diese unterschiedlichen Ansätze, die ein neues „Übersetzen“ des Europäischen möglich machen sollen.

Gleichzeitig bedarf es angesichts der eingefahrenen Diskussionen über die EU auch spezifischer anderer Formate der Wissens- und Kulturvermittlung. Dazu gehören z.B. das dramaturgische Aufbrechen von Tagungen, die Inszenierung von öffentlichen Räumen oder intensivere Einbeziehung des Besuchers bei Ausstellungen, indem dieser aus seiner Betrachter-Rolle in ein aktiveres Mit-Denken und Ausprobieren einbezogen wird. Häufig fehlt es auch an einer Vermittlung von Expertenwissen über die EU an den „Normalbürger“, wie sich jetzt gerade wieder vor der Wahl des Europäischen Parlaments zeigte. Angesichts der derzeitigen Entwicklungen in Europa (Ukraine, Konsequenzen der Parlamentarisierung nach den Wahlen, Referenden in Schottland, Großbritannien, möglicherweise Katalonien) wird es in den nächsten Jahren weiterhin eine umfassende Debatte über die zukünftige Gestalt Europas geben.

translations will sich an dieser Debatte mit substantiellen Beiträgen beteiligen durch:

> den Austausch zwischen Akteuren aus dem Kunst- und Kulturbereich untereinander und mit der Öffentlichkeit, z.B. Unterstützung und Durchführung von Kunst- und Kulturprojekten im öffentlichen Raum, Installationen und Ausstellungen, Kunst- und Kulturfeste, kunst- und kulturwissenschaftliche Vorträge, Tagungen und Diskussionen.

> politische und kulturelle Bildung mit Hilfe von Maßnahmen zur Beteiligung der Bürger/innen an einer lebendigen Demokratie zu politischen, kulturellen, wissenschaftlichen, ökologischen, sozialen und rechtlichen Fragen (z.B. Konferenzen, Seminare, Informationsveranstaltungen).

> die Völkerverständigung durch den Dialog und Partnerschaft zwischen den Bürger/innen, Organisationen der Zivilgesellschaft und der Repräsentanten von Institutionen der EU und der Länder Europas (z.B. mit Hilfe von nicht kommerziellen Jugendaustauschprogrammen, Veranstaltungen, Treffen und Begegnungen, kulturellem Austausch)

Der Verein translations steht also für neue Wege des „Übersetzens“
1) von einer Teilöffentlichkeit in eine andere,
2) von der nationalen in die europäische Perspektive (und vice versa), aber auch in die lokale oder regionalen Lebenswelten,
3) in neue Formate und Dramaturgien der Debatten, Bildungsangebote und des kulturellen Austausches.

Eine Grundforderung des Vereins ist die Einführung eines europäischen Feiertages für alle 28 Staaten Europas mit länderübergreifenden Programmen mit dem Ziel die europäische Idee zu diskutieren. Bis zur Umsetzung dieser Forderung wird der Verein jährlich mit Partnern ein eigenes aus der Zivilgesellschaft ohne Staatsinitiative hervorgehendes Kulturfest veranstalten. Gleichzeitig startet der neue Verein eine Europäische Bürgerinitiative mit dem Ziel, dass die Kommission einen entsprechenden Rechtsakt erlässt.

Netzwerkpflege

translations e.V. ist seit 2015 Mitglied der Europäische Bewegung Deutschlands.

Mehr unter: www.netzwerk-ebd.de/mitglieder/translations-e-v

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